thailändische Literatur

thailändische Literatur
thailändische Literatur,
 
früher siamesische Literatur. Das älteste Zeugnis der thailändischen Literatur ist die auf einem steinernen Sockel eingemeißelte Inschrift des Königs Ramkhamhaeng (1292; Nationalmuseum Bangkok). Der Herrscher berichtet hier von seiner Familie, seiner Regierung und den politischen und sozialen Verhältnissen seines Reiches. Die weitere Entwicklung der thailändischen Literatur ist nur lückenhaft bekannt. Das erste Buch, die Kosmographie »Traiphum« (Die drei Welten), könnte um 1450 entstanden sein; es vermittelt eine zusammenhängende Darstellung der hinduistisch-buddhistischen kosmologischen Vorstellungen. Vom 16. Jahrhundert an fächert sich das Schrifttum in seiner ganzen Breite auf: Poetiken, epische und dramatische, versifizierte Texte, Erzählungen und Märchen, eine nach Inhalt und Umfang bedeutende Gesetzgebung, populärwissenschaftliche Texte über nahezu alle Wissensbereiche wie Astrologie, Medizin sowie Tier- und Pflanzenkunde, Chroniken, Spruchdichtungen und zahlreiche buddhistisch inspirierte Traktate und Dichtungen. Erst ein Teil davon ist literaturwissenschaftlich untersucht. Die großen Epen werden als »Bot lakhon«-(Theater-)Texte bezeichnet, da deren Verse besonders bei den Aufführungen der klassischen Theaterform rezitiert wurden. Als bedeutendste Nationaldichtung gilt das »Ramakien«, das auf dem indischen »Ramayana« beruht, dies aber erheblich erweitert und mehr als 70 000 Verse umfasst. Unter den ersten beiden Königen der Chakridynastie (1782-1824) wurden die bis dahin bekannten Fragmente zu der heute vorliegenden Dichtung zusammengefasst. Wichtiger für die Kenntnis der Kultur der Thai ist jedoch das Epos »Khun Chang Khun Phän«, ein ganz aus autochthonem Empfinden gestaltetes Werk. Seine etwa 45 000 Verse enthalten eine Schilderung von Gefühls- und Anschauungswelt der Thai. Eine der umfangreichsten Gattungen der thailändischen Poesie umfasst die »Nirat« (Abschiedsdichtung) genannten Texte, von denen mehr als einhundert bekannt sind. Viele verbinden sich mit den Namen bedeutender Dichter (z. B. Sunthon Phu, * 1786, ✝ 1855). Diese Form ist bis heute lebendig geblieben, wenn auch in neuester Zeit der westlich beeinflusste Roman beherrschend geworden ist. Als Volkserzählungen sind noch immer die Jatakas aus dem buddhistischen Kanon beliebt.
 
Seit etwa 1900 entstand unter westlichen Einfluss eine reichhaltige Romanliteratur, ohne dass jedoch traditionelle Formen vernachlässigt wurden. Den entscheidenden Wendepunkt markierte der Staatsstreich von 1932, durch den die absolute Monarchie beendet wurde. Die sich herausbildende neue Mittelschicht versuchte die Probleme der Gegenwart in Romanen und Erzählungen zu gestalten, die ihre Thematik dem bürgerlichen und proletarischen Milieu entlehnen. Auch die Lyrik entfaltete sich zu neuer Blüte (Angkhan Kalayanaphong, * 1926; Nauwarat Pnongphaibun, * 1940; Khomthuon Khanthanu, * 1950); die Texte folgen dem überlieferten Formenkanon.
 
 
Recueil des inscriptions du Siam, hg. v. G. Coedès, 2 Bde. (Bangkok 1924-29);
 P. Schweisguth: Étude sur la littérature Siamoise (Paris 1951);
 J. N. Mosel: Trends and structure in contemporary Thai poetry (Ithaca, N. Y., 1961);
 K. Wenk: Die Metrik in der thailänd. Dichtung (1961);
 K. Wenk: Die Ruderlieder, kāp hē rüö, in der Lit. Thailands (1968);
 K. Wenk: Phali lehrt die Jüngeren. Ein Beitr. zur Lit. u. Soziologie des alten Thailand (1977);
 K. Wenk: Studien zur Lit. der Thai, 4 Bde. (1982-89);
 K. Wenk: Die Lit. der Thai (1992);
 K. Rosenberg: Die traditionellen Theaterformen Thailands von den Anfängen bis in die Reg.-Zeit Rama's VI. (1970).

Universal-Lexikon. 2012.

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